[Interview] KEVIN MENTZ – MEMORIA – Das Schwarze Auge (DSA)

“Der Spieler soll selbst zum Protagonisten werden”

Mit MEMORIA ist die Fortsetzung zum ersten Das Schwarze Auge Point & Click Adventure ‘Satinavs Ketten‘ aus dem Hause Daedalic erschienen. Kevin Mentz schrieb die Geschichte und organisierte das gesamte Projekt als Lead Game Designer. Der kreative Kopf musste dafür sorgen, das Programmierer, Scripter und Graphiker Hand in Hand arbeiteten und alles schließlich miteinander verschmolz. Bei meinem damaligen Studiobesuch entlockte ich ihm so manche Herausforderung.

SHORTREVIEW: In wieweit warst Du bei ‘Satinavs Ketten‘ integriert?

Satinavs Ketten‘ hatte ich ein bisschen lektoriert. Also mir wurde der erste Storyentwurf zugeschickt und ich habe ihn gegengelesen. Später sollte ich die wichtigen Dialoge zwischen Geron und Nuri verfeinern und die großen Auftritte vom Seher habe ich überarbeitet und teils neu geschrieben. Für MEMORIA musste ich mich noch mal in den Vorgänger reinlesen. Der grobe Storyentwurf, also das es zwei Geschichten sind, eine die während der Magierkriege spielt und eine die Gerons Erlebnisse weitererzählt, stammen noch von Tilman Schanen, der eben ‘Satinavs Ketten’ konzipiert und mitgeschrieben hatte. Es war hauptsächlich das Setting und die Idee zwei Geschichten unterschiedlicher Epochen miteinander zu verzahnen, die von Tilman stammte. Hier musste ich mich noch mal einlesen und dann intensiv mit ‘Satinavs Ketten‘ beschäftigen, um zu wissen, was war noch nicht geklärt war und was man mit hinein nehmen konnte. Dann musste ich mich mit dem Magierkrieg im DSA Universum auseinandersetzen. Das Schöne war, es gab hier noch nicht so viele Quellen, was mir viele Freiheiten bot.

Kevin Mentz

SR: Und daraus hast Du dann die Geschichte mitsamt der Rätsel entworfen.

Genau, ich habe zuerst angefangen die Geschichte zu entwickeln, das ging so, das ich mir den groben Entwurf von Tilman genommen habe. Hier wollte ich unbedingt zwei Dinge ändern. Einiges habe ich sogar mehr geändert und daraus ist dann ein völlig neues Gebilde entstanden. Wobei man immer im Hinterkopf behalten muss wenn man ein Spiel entwickelt, das die Situation in der man sich befindet auch Spielerisch interessant bleibt, also nicht ellenlange Filmszenen und Cutscenes wo der Spieler nur zuschaut, sondern immer wieder Momente bekommt, wo er selbst die Geschichte vorantreibt, selbst die Hindernisse überwindet mit denen sich die Protagonisten konfrontiert sehen und so selbst zum Protagonisten wird.

SR: Habt Ihr das Feedback aus den eigenen Reihen, den Kritiken und der Community berücksichtigt, analysiert was funktionierte und was nicht?

Das auf jeden Fall. Wir haben ganz viele Reviews gewälzt und Foren gelesen. Eine Sache zum Beispiel, ein Kritikpunkt bei ‘Satinavs Ketten‘ war der langatmige Anfang, alles braucht zulange, um in die Gänge zu kommen. Dazu auch sehr harmlos ist und vieles von der Tragik, der Schwere und Melankolie, sowie der Storydichte aus der zweiten Hälfte des Spiel, die von so vielen Leuten geliebt wurde, nichts zu fühlen ist. Hier fehlte das Versprechen, das wenn du das Spiel anfängst weißt, was auf dich zukommt. Dann wurde ebenfalls das abrupte Ende bemängelt. Für mich stand auf der Änderungsliste ganz oben, dass der Anfang richtig spektakulär werden sollte, um den Spieler zu fesseln. Und ich denke, das ist mir recht gut gelungen. Die Geschichte beginnt stimmig.

SR: Macht man sich auch Gedanken darüber, wie sich Charaktere ebenfalls graphisch weiterentwickeln?

Klar, es soll natürlich auch alles schöner werden. Man überlegt, wie die Animationen verbessert werden können, denn schließlich soll das Spiel qualitativ mehr bieten können als der Vorgänger.

SR: In Adventures neue Ideen auszuprobieren, Genre zu mixen, vielleicht Quick Time Events einzubauen, ist sehr schwer, weil die Spieler es immer kritisch beäugen.

Ich will eigentlich immer neues ausprobieren. Es ist natürlich auch ein spiel mit den Genrekonventionen was möglich ist, was mit unserer Engine möglich ist – unsere technischen Möglichkeiten sind limitiert – und die Erwartung der Spieler setzen natürlich etwas voraus, die wollen auf bestimmte Art bedient werden. Natürlich muss auch was in ‘Satinavs Ketten’ an Gameplay etabliert wurde, sich auf MEMORIA übertragen. Die Spieler wollen zwar ein komplett neues Spiel, neue Geschichten und gleichzeitig, das es an seinen Vorgänger passend anknüpft. Deshalb habe ich nach Elementen im Spiel gesucht, wo ich es weitertreiben, spielerisch interessant machen konnte. Dinge einbauen, die man so vielleicht noch nicht in Adventures gesehen hatte. Dies führte schließlich dazu, dass alle acht Kapitel in MEMORIA, ihre eigene Art von Puzzle haben. Im ersten Kapitel geht es darum, das man in einem Dungeon eingesperrt ist und mit Hilfe einer Gruppe Golems entkommen muss. Diese Golems kommen dann nicht mehr vor. Kapitel Zwei ist mehr Investigativ, voller klassischer Inventarrätsel. Hier wollte ich das man sagt: ‚Ah, das ist ein Adventure’. Im Dritten richtig großem Abschnitt sind es weniger Inventarrätsel, es geht in eine andere Richtung und so zieht es sich dann weiter. Es gibt Rätsel, die orientieren sich an den ‘Myst‘ Spielen; also man findet Informationen, muss sie notieren und dann an einem anderen Ort reproduzieren. Ein Kapitel ist fast nur ein Dialogrätsel, aber mit mehreren Charakteren, wo man eine große Anzahl von Menschen manipulieren muss, indem man ihnen Informationen steckt. Grundsätzlich ist für mich immer wichtig mit den Möglichkeiten des Genres neues auszuprobieren und dennoch dort zu bleiben.

SR: Du sprichst gerade Rätsel an. Wie sieht denn für Dich ein gutes aus?

Rätseldesign ist unfassbar schwer. Wir hatten Tester am Spiel, die noch nie Adventures gespielt hatten und dachten, das Rätsel ist viel zu schwer für sie, aber die haben gar nicht gemerkt, das dort ein Rätsel war, sie sind sofort durchgegangen ohne zu merken, das es dort ein Problem gab. Dann gab es Adventure Veteranen, die sich an gleicher Stelle fragten: ‚Wie soll ich da jemals wieder rauskommen?’ Kurz, Menschen funktionieren, denken unterschiedlich und ein Rätsel zu entwerfen, das für alle gleichermaßen funktioniert ist sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich. Wichtig ist, das Rätsel muss logisch und nachvollziehbar sein. Der Spieler soll im Nachhinein nicht den Gamedesigner verantwortlich machen, dass das Rätsel unfair war, sondern es wäre wünschenswert, wenn er dann in eine Lösung schaut und hinterher sagt: ‚Ah, das lag doch auf der Hand. Aber ich bin nicht darauf gekommen.’ Wie man letztlich dorthin kommt ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Adventures sind generell eine Aneinanderreihung von Sonderfällen. Anders als bei Spielen, wo sich aus der Spielmechanik heraus alles entwickelt. Also prüfst Du die Rätsel, wo finden sich Hinweise, ist es zu schwer oder zu einfach und was ist der eigentlich Clou um die Lösung zu finden.

SR: Als Adventure Entwickler muss man ja auch Adventures gespielt haben. Welches hat Dich am meisten beeindruckt und vielleicht beeinflusst?

Das sind so viele. Tatsächlich ist MEMORIA, wenn ich ins Detail gehe für mich eine Sammlung von meinen Lieblingsrätseln. Es gibt Myst-artige Rätsel, welche wie in Loom, wo alle durch Melodien und Magie gelöst werden mussten und bei uns spielen Magierätsel halt eine große Rolle. Es gibt auch kriminalistische Rätsel. Eine große Inspiration der Rätselstrukturierung ist für mich ‘Monkey Island 2‘. Wenn man hier ins Detail geht, ist es an vielen Stellen unglaublich Klever gebaut, das du eigentlich gar nicht merkst, was da mit dir gemacht wird. Es werden Rätsel sehr lange im Vorfeld vorbereitet, sogar die Lösung präsentiert, aber das bekommst du gar nicht so richtig mit, wenn du dann beim Rätsel angekommen bist, hast du diese Information plötzlich. Der Spieler wird dezent in die entsprechende Richtung geschoben. Gleichzeitig haben aber die Lucasarts Spiele auch die Konventionen des Genres erfunden und unheimlich kreativ mit den Rätselmöglichkeiten gespielt. Sie haben eine spielerische Art, die Spaß macht und immer frisch wirkt. Und dies ist mit den Jahren verlorengegangen, denn da wurden sie gesetzt, und viele haben sie einfach nur reproduziert ohne zu fragen, was kann ich noch damit machen. Mich inspirierte das, mir das frische Denken zu bewahren und zu schauen, wie kann ich mit den Normen spielen. Um neuere Spiele zu nennen; ich bin großer Freund der Watch It Eye Games, ein Indiegamestudio aus New York, dort ist so eine frische in der Geschichtserzählung.

SR: Wie siehst Du die allgemeine Entwicklung von Adventures?

Adventures haben sich zum größten Teil zu Reisegeschichten entwickelt. Ich bin an einem Ort, gehe zum nächsten und komme nicht mehr zurück. Es gab Adventures wie ‘Black Mirror‘, wo man an einem Ort blieb und immer tiefer grub. Es machte Spaß in dieser Art immer mehr Ebenen offenzulegen, neues in der gleichen Umgebung zu erkunden. MEMORIA selbst ist eher eine Reiseerzählung, beim Geron Teil habe ich das Spiel ein bisschen in diese Richtung gedrängt, es dreht sich alles in Andergast, einem Dorf und umlegenden Wald. Bei Tag und Nacht trifft man auf andere Charaktere. Aber ich wollte diesen Teil so klein und komprimiert wie möglich halten, während es bei Sadja eine klassische Heldenreise ist. Dies war unheimlich reizvoll zwei unterschiedliche Raumerzählungen in ein Spiel unterzubringen.

SR: Vielen Dank für den interessanten Einblick in Deine Welt.

War mir ein Vergnügen.

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Interview Sascha Leupold

In abgewandelter Form erstmals erschienen in: Nautilus – Abenteuer & Phantastik, www.fantasymagazin.de